Drama | Deutschland/USA/Israel 2008 | 106 Minuten
Regie: Paul Schrader
1 Kommentar
Verfilmung eines israelischen Romans um einen Holocaust-Überlebenden, der in einem Sanatorium mit den Traumata seiner KZ-Erfahrung ringt. In der Heilanstalt reißt die Begegnung mit einem Jungen, der sich für einen Hund hält, alte Wunden auf. Das virtuos entwickelte Drama verzahnt geschickt die verschiedenen Zeitebenen und macht die Verstörung der Hauptfigur bildästhetisch sicht- und nachfühlbar, wobei sich die Unfassbarkeit des thematisierten Grauens in bisweilen surreal anmutenden, bizarr-grotesken Motiven manifestiert. Einmal mehr stellt sich die Frage, wie nach Auschwitz Glaube - sei es an Gott, sei es an die Menschen - überhaupt möglich sein kann. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik
Ein Leben für ein Leben - Adam Resurrected (2008)
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Filmdaten
- Originaltitel
- ADAM RESURRECTED
- Verweistitel
- Ein Leben für ein Leben - Adam Hundesohn
- Format
- Teilweise SW | Scope
- Produktionsland
- Deutschland/USA/Israel
- Produktionsjahr
- 2008
- Produktionsfirma
- Adam Prod./3L Filmproduktion/Bleiberg Ent./July August Prod.
- Regie
- Paul Schrader
- Produzenten
- Werner Wirsing · Ehud Bleiberg · Hildegard Luke
- Buch
- Noah Stollman
- Vorlage
- Yoram Kaniuk
- Kamera
- Sebastian Edschmid
- Musik
- Gabriel Yared
- Schnitt
- Sandy Saffeels
- Kinoverleih
- 3L Filmverleih
- DVD-Verleih
- 3L
Ascot
Elite (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl.
dt.) - Erstaufführung
- 19.2.2009
19.10.2009 DVD
19.11.2009 DVD (Special Edition)
3.10.2010 ARD
- Darsteller
- Jeff Goldblum (Adam) · Willem Dafoe (Kommandant Klein) · Ayelet Zurer (Gina) · Derek Jacobi (Dr. Nathan Gross) · Hana Laszlo (Rachel Schwester) · Joachim Król (Wolfowitz) · Moritz Bleibtreu (Joseph Graetz) · Veronica Ferres (Frau Fogel) · Juliane Köhler (Ruth Edelson) · Jewgenia Dodina (Gretchen) · Idan Alterman (Arthur Fein) · Tudor Rapiteanu (Davey)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Bewertung
- Sehenswert
- Fd-Nummer
- 39128
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
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Heimkino
Die Standardausgabe hat keine erwähnenswerten Extras. Die Special Edition (2 DVDs) besticht hingegen u.a. durch den dt. untertitelbaren Audiokommentar des Regisseurs, die Podiumsdiskussion vom Haifa Filmfestival (72 Min.) mit Paul Schrader, dem Autor der Vorlage Yoram Kaniuk und dem Produzenten Ehud Bleiberg sowie den Dokumentarfilm "Konserwacja" (Kunsthochschule für Medien Köln, 11 Min.) über die Aufbauarbeiten im Konzentrationlager Auschwitz-Birkenau. Des Weiteren enthält die Edition u.a. ein ein Feature mit fünf im Film nicht verwendeten Szenen. Die Special Edition ist mit dem Silberling 2009 ausgezeichnet.
Eine Filmkritik von
Felicitas Kleiner
Diskussion
1 Kommentar
„Adam Resurrected“ heißt der neue Film von Paul Schrader im Original: Adam, auferstanden. Das nimmt einen hoffnungsvollen, sozusagen österlichen Akzent vorweg. Zunächst führt Schraders Verfilmung von Yoram Kaniuks 1969 erschienenem Roman „Adam Hundesohn“ allerdings durch ein Grauen, wie man es sich erschütternder kaum denken kann. Und das, obwohl das Sujet filmisch bereits ausführlich bearbeitet wurde und im aktuellen amerikanischen Kino gerade wieder Konjunktur hat. Es geht um die Verbrechen der Nazis, genauer: um den Massenmord an den europäischen Juden. Im Mittelpunkt steht der Holocaust-Überlebende Adam Stein, der in den 1960er-Jahren in einem Sanatorium in der israelischen Wüste untergebracht ist. Zu behaupten, er würde hier „behandelt“, wäre übertrieben, denn der intelligente Patient ist ähnlich therapie-resistent wie einst Jack Nicholsons Figur in „Einer flog über das Kuckucksnest“ (fd 19 710) – und kaum weniger aufsässig: eine charismatische Erscheinung, ein Frauenheld, Anführer und Aufrührer der anderen Insassen. Allerdings sind seine Eskapaden kein Ausdruck von Lebensfreude, sondern eine Art verzweifelter Karneval über dem Abgrund des eigenen Schmerzes: Stein, in den 1930er-Jahren ein gefeierter Clown und Varieté-Künstler in Berlin, wurde mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in ein Konzentrationslager deportiert. Dort überlebte er, weil der sadistische Lagerkommandant Klein, einst ein Bewunderer von Steins Bühnenkunst, ihn als „Hund“ hielt. Allerdings konnte Stein mit diesem im wahrsten Sinne unmenschlichen Theater nur sein Leben retten, nicht das seiner Familie. Jahre später entdeckt er in einem kerkerartigen Zimmer der psychischen Heilanstalt einen kleinen Jungen, der sich für einen Hund hält, auf allen Vieren läuft und bellt, statt zu sprechen. An eine Heilung dieses Hundejungen glaubt im Sanatorium niemand mehr. Stein reagiert zunächst schockiert auf das Kind, dessen Erscheinung alte Wunden aufreißt; doch dann nimmt er sich seiner an.Wie in Sidney Lumets „Der Pfandleiher“ (fd 15 078) und Alan J. Pakulas „Sophies Entscheidung“ (fd 23 979) geht es hier um das Porträt eines Überlebenden, um die Auseinandersetzung mit der Erniedrigung, dem erfahrenen Leid, dem Verlust geliebter Menschen und vor allem mit der Schuld, nicht zu den Millionen Toten zu gehören. Allerdings ist Schraders Film albtraumhafter, surrealer: Die Ungeheuerlichkeit und Unfassbarkeit des Terrors, die bodenlose „Verkehrtheit“ dessen, was Stein durchleidet, drückt sich aus im Bizarr-Grotesken, bisweilen Perversen, das Steins Beziehung zum Kommandant Klein ebenso prägt wie das Leben in der psychiatrischen Anstalt – hierin erinnert „Ein Leben für ein Leben“ ein bisschen an Liliana Cavanis „Der Nachtportier“ (fd 19 159). Virtuos verzahnt Schrader dabei die unterschiedlichen Zeitebenen: das Berlin der 1930er-Jahre, bis Steins Karriere mit der Deportation ins KZ ein abruptes Ende findet, seine Zeit als Kleins „Haustier“, nach Kriegsende in Israel die Suche nach einer seiner Töchter, die ebenfalls das KZ überstand, und schließlich immer wieder die Erzählgegenwart in der Anstalt, deren suggestive Raumpoetik den Film allein schon sehenswert macht – ein monströs-moderner architektonischer Limbus aus kaltem Beton, im Nirgendwo zwischen den Lebenden und den Toten, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Auch die Kameraarbeit und die Montage tragen nachhaltig zur Atmosphäre einer fundamentalen Verstörung bei: Große Brennweiten, die ein Gefühl der Verlorenheit evozieren, stoßen auf extreme Nahaufnahmen der gepeinigten Gesichter; ein sehr bewusst gewähltes Farbspektrum erleichtert zwar die zeitliche Einordnung der jeweiligen Sequenzen (die Rückblenden in die 1930er-Jahre sind z.B. in Grautönen wiedergegeben), trägt aber auch zu einer surreal anmutenden Verfremdung der Bildwelten bei. Zu wahren Meisterleistungen schwingen sich auch die internationalen Darsteller auf. Dass Jeff Goldblum nicht für den „Oscar“ nominiert wurde, lässt sich eigentlich nur damit erklären, wie schmerzhaft kompromisslos er in seiner Rolle die Grenzen des Erträglichen ausreizt; in Nebenrollen glänzen u.a. Willem Dafoe als ambivalenter, hinter seinem Sadismus seltsam nachdenklicher Nazi und Joachim Król als Mitpatient, mit dem Stein über die Existenz Gottes streitet. Nicht nur in diesen Szenen spielt die Auseinandersetzung mit Religion und mit biblischen Motiven eine wichtige Rolle. Die Hauptfigur, die den Namen des alttestamentarischen Urvaters der Menschheit trägt, nimmt zwischenzeitlich Züge eines beschädigten Messias an, eines gottlosen, „leidenden Gottesknechts“, von dem sich die Patienten des Sanatoriums erhoffen, er möge sie wie einst Moses das Volk Israel aus der Wüste ihrer Traumata herausführen. Am Ende findet sich Stein dann in den nächtlichen Dünen um das Sanatorium bei einem brennenden Dornbusch, und nicht nur Willem Dafoes Präsenz, geisterhaft gegenwärtig, sondern auch die Entscheidung, vor die sein Kommandant Klein Adam stellt, erinnern an den (von Paul Schrader geschriebenen) Film „Die letzte Versuchung Christi“ (fd 27 169). Wenngleich die Frage nicht neu ist, wie nach Auschwitz Glaube – sei es an Gott, sei es an die Menschen – möglich sein soll, so ist sie doch lange nicht mehr mit solcher Intensität und solcher künstlerischen Kraft formuliert worden.
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Marc | 06.04.2023
Beeindruckende Kritik, liebe Frau Kleiner. Habe diesen Film heute nach einigen Jahren zum zweiten Mal gesehen, und empfinde ihn nach wie vor so verstörend, wie er wohl auch sein soll. Die meisten meiner Eindrücke und mehr haben Sie schon mit besseren Worten festgehalten, als ich dies könnte. Einen besonders ausgeprägten surrealen Effekt, verbunden mit einem Gefühl des Unbehagens durch Orientierungslosigkeit, erzielt Schrader zumindest bei mir auch durch die niemals wirklich beantwortete Frage, wo im Einzelnen die Grenze der Realität verläuft. Manche Szenen sind eindeutig eine Visualisierung der Gedanken oder des Wahns Adam Steins, bei anderen war ich mir nicht so sicher. Die Figur des Adam Stein mag stets ein charismatischer Frauenheld gewesen sein - trotzdem erscheint es mir hochgradig unwahrscheinlich, dass eine professionelle Krankenpflegerin nicht nur mit einem Patienten flirtet, sondern sogar eine derart drastische körperliche Beziehung mit ihm führt, sich ihm sogar bettelnd unterwirft. Dass dieser, seiner traumatischen Vergangenheit geschuldet, gerade krankhaft obsessiv auf Hunde fixiert ist, mag nachvollziehbar sein. Auch dass dies dann Teil seiner Sexualität wird, wirkt plausibel. Doch ist es sogar so, dass Schwester Gina nicht einmal ausgesprochen darauf zu achten scheint, wenigstens von ihren vorgesetzten Ärzten nicht dabei beobachtet zu werden, wenn Adam und sie intimen Kontakt haben. Ich kann mir weder vorstellen, dass ein solcher Kontakt von den behandelnden Ärzten geduldet würde, noch dass irgendeine Krankenpflegerin mit einer gesunden Berufsauffassung dies auch nur in Erwägung zöge, egal wie attraktiv sie den Patienten auch empfinden mag. Ähnliches gilt für Adams Beziehung zur Wirtin seiner Pension, mit der zumindest er eine so innige Beziehung zu haben glaubt, dass sie sich für den vermeintlichen Knutschfleck eines anderen Mannes an ihrem Hals vor Adam rechtfertigen muss, noch während er von zwei Pflegern abgeholt und ein weiteres Mal in sein Sanatorium in der Wüste verfrachtet wird. Adam Stein wurde einerseits in die Einrichtung abgeholt und darf diese wohl nicht jederzeit selbstbestimmt verlassen, scheint andererseits innerhalb der Mauern aber völlige Narrenfreiheit zu genießen, was Alkoholkonsum, Be- und Misshandlung anderer Patienten betrifft. Es ist auch eine derartige Reihe von Ungereimtheiten, die den rein optisch recht normal wirkenden Ort so surreal erscheinen lässt. Gewisse Regeln der Logik und Konvention scheinen, ähnlich wie in einem Traum, außer Kraft. Und noch uneindeutiger wird die Lage dadurch, dass ausgerechnet Gina Adam die Schlüssel mit einem Hinweis auf die geltenden Regeln verwehrt, die sie doch selbst im Grunde fortlaufend bricht.
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